Montag, 20. September 2010

Dilemma der "Generation Schlagzeile"

Bei der Benutzung von Twitter neigt man dazu, politische Themen lieber etwas zu überspitzen. Denn wenn man nur 140 Zeichen zur Verfügung hat, dann muss man sich schon anstrengen, wenn man ein Thema interessant machen und damit an den Mann resp. die Frau bringen will.
Und was passiert beim Lesen der Flut von Tweets, d.h. der vielen winzigen Informations-Schnipsel? Damit ich überhaupt alles wahrnehmen kann, muss ich bei der Frage nach den Hintergründen und der Stichhaltigkeit Abstriche machen. Ich kann nicht jedes Thema im Detail mitverfolgen und beschränke mich darauf, dass ich davon auch schon etwas gehört habe und ergo ja kompetent mitreden kann. -- Wirklich?
Jetzt kommt also wieder einer und schimpft auf die Schnelllebigkeit der Zeit und den Informations-Overkill? Aber wie reagiere ich, wenn ich im Beruf viel mehr erledigen muss als eigentlich in der zur Verfügung stehenden Zeit zu schaffen wäre? Ich rationalisiere, sprich ich lasse Dinge weg und vereinfache, unter dem Motto "das muss reichen" und "wird schon stimmen".
Twitter ist hier der Overkill in der Vereinfachung. Durch die strikte Beschränkung auf 140 Zeichen wird jeder gezwungen sich dermaßen kurz zu fassen, dass an manchen Stellen die Aussage auch mal "kaputt gespart" und dadurch sicherlich überspitzt oder verzerrt wird.
Das Beispiel "Sarrazin" zeigt es deutlich: noch bevor das Buch überhaupt erschienen war, noch bevor sich die Masse an Leuten wirklich ein fundiertes Bild machen konnte, war Twitter voll von Sarrazin-Hitler-Vergleichen, Schmähungen als SS-Mann usw. Über die Bühne, die diese Twitter-User Herrn Sarrazin damit geboten haben, kann man viele eigene Blog-Posts schreiben.
Wie lässt Marc-Uwe Kling sein kommunistisches Känguru sagen: "Man darf nie aufhören, alles zu hinterfragen." Aber genau das kommt oft zu kurz, wenn es gilt, der Informationsflut Herr zu werden und sich eine eigene Meinung zu bilden. Aus der Menge der Aufmerksamkeits-Heischenden Schlagzeilen die Informationsquellen herauszufiltern, die fundiert sachlich ein Thema beleuchten, ist sehr aufwändig. Ich bin als Einzelner also wieder darauf angewiesen, mich auf die Einschätzungen anderer zu verlassen. Aber alle diese Einschätzungen und Schlagzeilen sind meist sehr stark subjektiv gefärbt oder zumindest aus den verschiedensten Gründen tendenziös.
Obwohl es also im Zeitalter des Web2.0 über alle Themen scheinbar endlos viele Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen gibt, so ist es doch dadurch nicht einfacher sondern eher schwerer geworden, sich objektiv und fundiert zu informieren. Aber das ist ja die Fähigkeit eines kritischen, aufgeklärten Bürgers, die ihm angebotenen Informationen kritisch zu hinterfragen und sich dann ein eigenes Bild der Sache zu machen. Eine Frage wäre dann, ob sich "ein kritischer Bürger zu sein" lernen lässt. Könnte das wirklich die (besser als zurzeit finanzierte) Schule leisten oder ist so etwa nur durch das Elternhaus d.h. die Gesellschaft als Ganzes zu bewerkstelligen? Und ist das überhaupt von den Regierenden gewollt, dass Ihre Bürger kritisch alles hinterfragen? Wenn man sich die jüngsten Ereignisse um Stuttgart 21, Atom-Politik oder Herstellung des gläsernen Bürgers mit "Buugle" anschaut, so scheint es hier seitens der Regierenden gar keine Basis für eine sachliche Diskussion zu geben.

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